Herdubreid >Herðubreið< © nordische und maritime Informationen von A bis Z

 

Artikel und Kommentare über Norwegen

Artikel 001/08

Der nachfolgende Artikel gibt die Meinung des Autors wieder. Der Hintergrund bezieht sich unter anderen auf die ursprüngliche Verfassung des Königreichs Norwegen (Verfassung von Eidsvoll) und das grausige Schicksal der norwegischen Juden unter der deutschen Besatzung 1940 bis 1945.

Ursprünglicher § 2 der Verfassung von Eidsvoll vom 17. Mai 1814

§ 2. Die evangelisch-lutherische Religion verbleibt die öffentliche Religion des Staates. Die Einwohner, die sich zu ihr bekennen, sind verpflichtet, ihre Kinder darin zu erziehen. Jesuiten und Mönchsorden dürfen nicht geduldet werden. Juden sind ferner vom Zugang ins Reich ausgeschlossen.

Der nachfolgende Artikel erschien am 23.08. 2007 in der ZEIT ONLINE Nr.: 35 mit der Möglichkeit diesen Artikel in Druckformat und als PDF – Datei herunterzuladen. Danken möchte ich Herrn Ulrich Brömmling und der ZEIT – ONLINE für die freundliche Genehmigung den Artikel hier auf meiner Homepage zu veröffentlichen.

Kurzinformationen:

Ulrich F. Brömmling ist am 31.01.1969 in Berlin geboren und studierte in Berlin und Bergen (Norwegen) Skandinavistk. Sein Themen- und Forschungsschwerpunkte sind die Stiftungs-PR, Stiftungen in Skandinavien, Bürgerstiftungen, Kulturstiftungen und Stiftungsethik. Mehr Informationen unter der Homepage  www.broemmling.de 

DIE ZEIT ONLINE, Ausgabe 35 veröffentlichte auch die dazugehörenden Kommentare auf der Homepage: www.zeit.de

Beginn des Artikels als Originaltext

Antisemitismus

Das verbotene Land

Von Ulrich Brömmling | © DIE ZEIT, 23.08.2007 Nr. 35

Das grausige Schicksal der norwegischen Juden unter der deutschen Besatzung 1940 bis 1945 hat eine düstere Vorgeschichte. Bis 1851 war Juden der Aufenthalt in Norwegen untersagt

1814 tagt im Städtchen Eidsvoll der Verfassungskonvent für das unabhängig gewordene Norwegen. Das Grundgesetz, das hier entsteht, ist das liberalste seiner Zeit ... bis auf einen bizarren Makel: Religiöse Toleranz kennt es nicht. Norwegen soll ein lutherischer Gottesstaat sein. Oscar Wergelands Gemälde von 1885 hängt heute im Storting, dem Osloer Parlament

Die Juden haben in Norwegen mehr Unheil angerichtet als in vielen anderen Ländern mit höherem Judenanteil«, klagte im Frühjahr 1941 Vidkun Quisling, der Vorsitzende der norwegischen Nazi-Partei Nasjonal Samling, in einer Rede, die er in Deutschland hielt – ein Jahr nach der Besetzung des skandinavischen Landes durch die Wehrmacht. Seine Worte wurden in der Zeitung Fritt Folk veröffentlicht. Er schien bereit, sich der »Endlösung der Judenfrage« in seiner Heimat nicht verweigern zu wollen.

Tatsächlich hat kein anderer Staat Nordeuropas, einschließlich des mit Hitlers Reich verbündeten Finnlands, so wenig zur Rettung der Juden im eigenen Land getan wie Norwegen unter dem Marionettenregime Vidkun Quislings. Der Pfarrerssohn und fanatische Nationalsozialist, der zunächst als deutscher Vertrauensmann ohne Amt und seit Februar 1943 als norwegischer Ministerpräsident von Hitlers Gnaden agierte, hatte die Begriffe »Jude«, »Halbjude« und »Vierteljude« noch enger definiert als die Rassenbürokraten in Berlin. Zur Kollaboration beim Holocaust musste er nicht erst gedrängt werden.

Im Herbst 1942 verhafteten norwegische Landsleute, nicht die Besatzer, 532 Juden. Das war ein Viertel der jüdischen Gemeinde in Norwegen. Man brachte sie zu einem Schiff der deutschen Kriegsmarine, das von Oslo aus die erste Etappe auf dem Weg nach Auschwitz zurücklegte. Eine wichtige Rolle dabei spielte Knut Rød, der Leiter der staatlichen Polizei in Oslo. Er trägt die Verantwortung dafür, dass die Deportation der jüdischen Bevölkerung so »wohlorganisiert« und »reibungslos« verlief.

Vergeblich kämpft der Dichter Henrik Wergeland für religiöse Freiheit

Nach dem Krieg wurde Rød angeklagt. Doch der Norwegische Gerichtshof sprach ihn 1948 frei: »Was für sich genommen wie ein Akt der Kollaboration anmutet, war notwendig, um Widerstandsarbeit von viel größerer Bedeutung leisten zu können. Er hat die ganze Zeit seinen Plan verfolgt, dem Feind zu schaden und seinen Landsleuten zu nutzen.« Hatte der Schutz der Juden also nur eine geringe Bedeutung? Wer war in dem Urteil des Gerichtes eigentlich der Feind? Und, vor allem: Waren die Juden denn keine »Landsleute«? Als bezeichnend galt der Umstand, dass der Freispruch am 9. April erging, dem achten Jahrestag der deutschen Invasion. Knut Rød blieb bis zu seiner Pensionierung 1965 im Dienst der Polizei. Während Vidkun Quisling noch im Herbst 1945 zum Tode verurteilt und erschossen worden war, starb Rød 1986 als ehrenhafter Bürger.

Nicht zuletzt um dieses dunkle Kapitel der eigenen Geschichte aufzuklären, hat im vergangenen Jahr in Oslo ein Zentrum zur Erforschung des Holocaust seine Arbeit aufgenommen. Es ist in der Villa Grande untergebracht, dem Prachtbau, den Quisling zwischen 1941 und 1945 bewohnte. Eines der ersten Zeichen, die das Zentrum, das zugleich Museum ist, medienwirksam setzte, war die Enthüllung einer Statue auf dem Villengelände, die Knut Rød mit Hitlergruß zeigt. Eine Provokation – soll dieses bizarre »Denkmal« doch so lange dort stehen bleiben, bis der Freispruch des Jahres 1948 aufgehoben ist. In der Zeitung Aftenposten charakterisierte der Leiter der Villa Grande, Odd-Bjørn Fure, derweil das NS-Regime in Norwegen als eines der extremsten aller europäischen Regime, die mit Nazideutschland zusammenarbeiteten.

Inzwischen gibt es auch neue Literatur zu diesem Thema. So erschien 2005 das umfangreiche Buch Vom Judenhass aus der Feder von Einhart Lorenz, Trond Berg Eriksen und Håkon Harket. Viel Düsteres wurde ans Licht gebracht oder neu beleuchtet. So kämpften Norweger als Freiwillige der Wehrmacht an der Ostfront und waren 1941 in der Division Wiking möglicherweise sogar direkt am Holocaust in der Ukraine beteiligt. Der Staat raffte das Eigentum der verschleppten und ermordeten Bürger an sich, wie es das »Gesetz zum Einzug jüdischen Vermögens« vom 26. Oktober 1942 vorsah. Und selbst nach dem Krieg noch zeigte man den Überlebenden die kalte Schulter und versuchte mit allerhand Schikanen, Entschädigungen abzuwehren.

Natürlich darf über all diese Verbrechen und Schandtaten nicht in Vergessenheit geraten, dass es auch in Norwegen großartige Helfer im Kampf gegen Nazismus und Antisemitismus gab. Erinnert sei nur an den Studenten Hans Christen Mamen, der 25 jüdischen Kindern über die Grenze nach Schweden half. Ermuntert und unterstützt wurde er just von jenem stockreaktionären Theologen Ole Hallesby, der im norwegischen Kulturkampf vor dem Krieg wider alles Liberale und Aufgeklärte gewütet hatte.

Doch es blieben heroische Ausnahmen. Denn sosehr es uns hierzulande überraschen mag, die wir Skandinavien nach dem Krieg nur als einen Hort der Liberalität und Toleranz kennengelernt haben – Norwegen war bis weit in das 19. Jahrhundert hinein eines der judenfeindlichsten Länder der Welt. Dieser Antisemitismus fand sogar Niederschlag in seinem Grundgesetz, der berühmten Verfassung von Eidsvoll.

1814 hatten sich in diesem kleinen Ort ein paar Kilometer nördlich von Christiania (wie Oslo damals hieß) 104 Delegierte – Bauern, Priester, Kaufleute, Beamte und Gutsherren – versammelt, um ihrem Land eine Konstitution zu geben. Ein halbes Jahrtausend lang war man von Dänemark abhängig gewesen, jetzt hatte Norwegen, im Zuge der napoleonischen Wirren, endlich seine Souveränität zurückgewonnen.

Es sollte die liberalste Verfassung der damaligen Zeit werden. Die Gewaltenteilung war festgeschrieben. Fast die Hälfte der männlichen Einwohner durfte wählen. Alle Bürger erhielten Grundrechte wie Meinungsfreiheit, und jedem war Rechtssicherheit zugesagt. Die Verfassung trug nur einen bizarren Makel: Es gab keine Religionsfreiheit.

Zwar hatte die Versammlung in der ursprünglichen Version ihres Grunnloven alle Kulte zugelassen, ob katholisch, ob jüdisch; nur Mönchsorden sollten verboten sein. Doch die Urfassung kam nicht zur Abstimmung. Im beschlossenen Text wurde dann den Juden der Aufenthalt im Land ausnahmslos verboten. Der berüchtigte Paragraf 2 lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: »Die evangelisch-lutherische Religion bleibt Staatsreligion. Wer sich als Einwohner zu dieser Religion bekennt, ist zur entsprechenden Erziehung auch seiner Nachkommen verpflichtet. Jesuiten und Mönchsorden werden nicht geduldet. Juden sind weiterhin vom Zutritt zum Reich ausgeschlossen.«

Nun gab es Antisemitismus in allen Ländern Europas, Restriktionen erfuhren die Juden an zahlreichen Orten der Welt. Bis 1814 hatte in Norwegen das dänische Recht gegolten. Demnach durften sich Juden nur mit Genehmigung der Obrigkeit niederlassen; lediglich eine Handvoll von ihnen hatte darum nachgesucht. Doch dass just in dem historischen Augenblick kurz nach der Französischen Revolution, da in etlichen Städten Europas das Ghetto verschwand, hier in Norwegen ihre Diskriminierung in der Verfassung festgeschrieben wurde, das war schon ein ziemlich einmaliger Vorgang.

Zwar musste das Land im selben Jahr noch die Oberhoheit des schwedischen Königs akzeptieren – Norwegen wurde Teil einer schwedisch-norwegischen Union und bekam erst 1905 einen eigenen König –, doch blieben wesentliche Bestimmungen der Verfassung in Kraft. Der Paragraf 2 gehörte dazu.

In Schweden durften sich die Juden immerhin in drei Städten niederlassen: in Stockholm, Göteborg und in Norrköping. Aus Dänemark hat Søren Kierkegaard eine kleine Szene überliefert, die den Unterschied zu Norwegen gut beschreibt. Ein Jude, der 1839 in einer politischen Versammlung die Einführung der norwegischen Konstitution in Dänemark fordert, wird gefragt: »Wie bitte – die norwegische? Wisst Ihr denn nicht, dass diese die Juden aus dem Lande jagt?« Der Jude antwortet fassungslos: »Nein, das wusste ich nicht. Dann verzichte ich gern auf die norwegische Verfassung.« Dänemark war längst mit gutem Beispiel in die andere Richtung gegangen. Genau in jenem Jahr 1814 hatten hier die Juden das volle Bürgerrecht erhalten.

Die historische Forschung tat den Paragrafen 2 lange Zeit als einen »Fehler« ab, der letztlich unerklärlich sei (wie zum Beispiel 1958 noch Arne Bergsgård in seiner Norwegischen Geschichte). Doch natürlich gab es Gründe und Interessen, die zu dem Schandgesetz geführt hatten. Zunächst waren es rein taktische Überlegungen gewesen, 1814 in Eidsvoll. Die verfassunggebende Versammlung hatte den Text deutlich verschärft, um diejenigen zur Zustimmung zu bewegen, die den Grundgesetzentwurf insgesamt als zu liberal kritisiert hatten.

Die Wurzeln allerdings reichen tiefer. Der Wortlaut des Paragrafen verrät es schon: Man verstand sich als lutherischer Staat. Luthers Lehre sollte (nicht nur) in Religionsfragen die Richtschnur sein. Und welcher Reformator hat wütiger gegen die Juden gepoltert als der Doktor aus Wittenberg? »Lügner«, »Bluthunde«, »leibhaftige Teufel« nannte er sie, enttäuscht darüber, dass sie sich nicht bekehren lassen wollten. »Man soll ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecken und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufen und zuschütten, daß kein Mensch einen Stein oder eine Schlacke davon sehe ewiglich…«, geiferte er 1543, auf seine alten Tage immer fanatischer werdend. Und noch in der letzten Predigt kurz vor seinem Tod 1546 rief er dazu auf, sie »wegzutreiben«. Ein anderer Reformator, Ulrich Zwingli in Zürich, schüttelte darüber nur fassungslos den Kopf und meinte, Luthers Hetze passe besser zu einem Schweinehirten denn zu einem Seelenhirten. Doch Luthers Tiraden waren nicht wirkungslos geblieben; bis hinauf nach Norwegen sollten sie ihr finsteres Echo finden.

Nicolai Wergeland, Kirchenmann und Mitglied der Verfassungsversammlung in Eidsvoll, machte es sich dann auch mit der Erklärung besonders einfach. Da es nach jüdischer Lehre nicht verwerflich, sondern geradezu verdienstvoll sei, Christen zu betrügen, erklärte der Priester, hätten sich die Juden eigentlich selbst aus dem Lande ausgeschlossen. Der wesentlich toleranter gestimmte Pfarrer Niels Hertzberg aus Hardanger konnte sich den unseligen Verlauf des Konvents in dieser Frage nur durch eine anerzogene Grundhaltung erklären. »Alle hatten von Kindesbeinen an«, schreibt er in einem Zeitungsartikel, »eine gewisse Abscheu gegen die Juden mit der Muttermilch eingesogen. Die Mitglieder der Reichsversammlung, zum größten Teil doch aufgeklärte Männer, ließen sich hinreißen von dieser Stimme der Erbsünde und nahmen sich wenig Zeit, darauf zu hören, was einige wenige gegen das geplante Verbot vorbrachten.«

Natürlich konnte sich Norwegen nicht völlig von der allgemeinen Entwicklung in Europa isolieren. Bald schon gab es Streit um den Paragrafen 2. Einen ersten kläglichen Versuch zur Revision begann der Pietist Poul Holst, dem es aber vor allem um die eigenen Leute und die Herrnhuter Brüdergemeine ging, die den Lutheranern ebenfalls ein Ärgernis waren. Die Rechte der Juden interessierten Holst kaum. Er scheiterte nur zu rasch im Parlament. Erst 1845 konnten die pietistischen Gruppierungen sich öffentlich zeigen. Da war Norwegen für Juden immer noch ein verbotenes Land.

Einen Fürsprecher fanden sie in dem jungen Dichter Henrik Wergeland – Sohn ausgerechnet jenes Pfarrers Wergeland, der noch in Eidsvoll beinahe höhnisch den Verbotsparagrafen verteidigt hatte. Henrik Wergeland, 1808 in Kristiansand geboren, gehört zur Generation der großen Nationaldichter Europas, romantisch und aufgeklärt zugleich, am Vaterland hängend und leidend, kosmopolitisch und kämpferisch – wie Byron, wie Heine, Foscolo, wie Mickiewicz, PetÅ‘fi oder Puschkin. Er ergriff nun in einer Art und Weise für die Juden Partei, wie es vor ihm in Skandinavien allenfalls der berühmte Komödiendichter Ludvig Holberg und nach ihm Bjørnstjerne Bjørnson getan haben.

1832 – da ist er gerade 23 – plädiert Wergeland erstmals für die Rechte der Juden. Sieben Jahre später unternimmt er dann einen öffentlichen Vorstoß im Parlament zur Abschaffung des Paragrafen 2. Sein Kommentar zur Judenfrage erscheint 1841 in erweiterter Form auch gedruckt. Wergeland nennt die viel gepriesene Verfassung »im Ganzen illiberal in Religionsfragen«. Wie auch immer man das eigentümliche Volk der Juden betrachte: Das Grundgesetz kränke eine unglückliche Nation, »die uns nie beleidigt hat«. Wergeland legt den Finger in die Wunde der Verfassung: »Norwegen treibt seine Grausamkeit weiter als die anderen Staaten. […] Auch die Hand begeht ein Verbrechen, die nicht schlägt, aber sich lieblos verweigert.«

In seinem Werben um Toleranz räumt Henrik Wergeland mit allen Vorurteilen gründlich auf: mit der Mär von der wirtschaftlichen Bedrohung, die von den gierigen und betrügerischen Juden ausgehe, mit der vermeintlichen Herzlosigkeit und dem Egoismus der reichen Juden – und was es an dergleichen antisemitischen Klischees mehr gibt. Der Dichter beschreibt die Lebensumstände jüdischer Bürger in anderen Ländern; er schildert Riten und Geschichte in einer Weise, die an aufklärerischem Geist zu jener Zeit ihresgleichen sucht. »Wer damit prahlt, allein aus seines eigenen Glaubens Füllhorn Seligkeit ausgießen zu können, der bringt nur Hass gegen Andersgläubige hervor, nur Verachtung und Verfolgung; die Geschichte hat mit blutiger Schrift festgehalten, wie das eine dem anderen entwächst.«

Mit noblem Eifer führt Wergeland seinen selbstgerechten lutherischen Landsleuten vor Augen, dass Juden Christen moralisch durchaus überlegen sein können. Trunkenheit, Unkeuschheit und Völlerei seien bei ihnen viel seltener anzutreffen als bei Christen. Juden zeigten sich als Wohltäter gegenüber den Bedürftigen, auch gegen arme Christen. Abgesehen davon, dass es sich hier ebenfalls um Verallgemeinerungen handelt: Der Schritt Wergelands war zu seiner Zeit in seinem Land ungeheuer mutig.

Doch alles Mühen blieb vergebens. Die Eingabe des Dichters scheiterte im Parlament. Wergeland hatte keine Chance mehr, den Kampf fortzusetzen. Am 12. Juli 1845 starb der Dichter, erst 37 Jahre alt, in Christiania. Noch während seiner letzten Tage hatte er einen Brief des dänisch-jüdischen Schriftstellers Meir Goldschmidt erhalten: »Wenn ich an Sie denke, Henrik Wergeland, dann bin ich stolz, ein Mensch zu sein.«

Die Beerdigung glich einem Triumphzug. Das liberale Norwegen huldigte seinem Helden. Schon bei der Nachricht vom bevorstehenden Tod des Dichters hatten sich Tausende vor seinem Haus versammelt. Als der Sarg durch die Straßen zur letzten Ruhe gefahren wurde, säumten 10.000 Menschen den Weg – ein Fünftel der Einwohnerschaft Christianias. Der Zeitgenosse und Wergeland-Biograf Hartvig Lassen berichtet, dass der Sarg vor lauter Blumen gar nicht mehr zu sehen war.

Auch Skandinaviens Juden trauerten, sie kannten das große Verdienst, das sich der Dichter um ihre Freiheit erworben hatte. Noch immer durften sie sich nicht in Norwegen niederlassen. Aber sie konnten Dank zeigen. So schlugen jüdische Bürger in Stockholm vor, Wergeland ein Denkmal zu setzen. Da sie es selbst nicht in Norwegen aufstellen konnten, wurde es quasi im Exil in Stockholm enthüllt. Bitter lässt die Inschrift noch heute die Nöte jener Zeit erkennen, aus der es stammt: »Dankbare Juden außerhalb der Grenzen Norwegens errichteten dieses Denkmal im Jahr 1847«.

Einzelne Politiker vermochten nichts auszurichten. Dem norwegischen Ministerpräsidenten Fredrik Due, der an der Enthüllungsfeier teilnahm, war die Angelegenheit höchst peinlich. Zerknirscht äußerte er den Wunsch, die Zeit möge nicht mehr fern sein, »da sich auch der Jude uneingeschränkt von einem intoleranten Gesetz, von kleingeistigen Meinungen oder ererbten Vorurteilen frei in meinem freien, glücklichen Vaterland bewegen kann«.

1849 wurde das Denkmal schließlich nach Norwegen gebracht und auf dem Erlöserfriedhof in Christiania aufgestellt. Eine Ausnahmegenehmigung hatte wenigstens einer kleinen jüdischen Delegation die Einreise und die Teilnahme am Festakt ermöglicht. Doch noch einmal zwei Jahre sollte es dauern, bis der unselige Paragraf 2 der Verfassung endlich gestrichen war.

Quisling will Norwegen wieder »judenfrei« machen

Aber auch nach dem Jahr 1851 blieben die Juden dem Lande wohlweislich fern. Selbst ein Vierteljahrhundert später, 1875, zählte man nicht mehr als 34 jüdische Einwohner auf norwegischem Staatsgebiet. Erst 1892 wurde in Oslo die erste Gemeinde gegründet und die erste Synagoge eingerichtet

Die Geschichte um den elenden Paragrafen indes sollte noch eine grotesk-grausige Fortsetzung finden. Denn nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Norwegen und der Machtübernahme im Lande durch Quislings Regime kehrte auch dieses Gesetz zurück. Norwegen sollte »judenfrei« werden. Im März 1942 nahm man die Formulierung kurzerhand wieder in die Verfassung auf.

Am Tag der deutschen Invasion, dem 9. April 1940, umfasste die jüdische Gemeinde Norwegens etwa 2200 Menschen. Davon wurden, seit der ersten Aktion im Herbst 1942, insgesamt 767 Menschen nach Auschwitz deportiert. Bis auf 26 Heimkehrer kamen sie alle im Vernichtungslager oder auf dem Weg dorthin um.

Heute leben wieder rund 2000 jüdische Bürger in Norwegen. Ganz spannungsfrei ist das Verhältnis zu ihrem Staat kaum zu nennen. Der norwegisch-ungarische Jude Imre Hercz hat in einem Kommentar für die Tageszeitung Aftenposten vor einiger Zeit darauf hingewiesen, was Juden aus anderen Staaten über Norwegen dächten: Es sei von allen Ländern der westlichen Welt der schärfste Kritiker Israels. Auch mit diesem Vorwurf wird sich das neue Osloer Holocaust-Zentrum in seiner Forschung wohl befassen müssen.

Der Autor ist Skandinavist und lebt in Berlin und Oslo. Ich möchte auf folgende Bücher von Ulrich Brömmling aufmerksam machen: 

Nonprofit-PR in deutscher Sprache, 319 Seiten, Preis: 27,90 Euro

Kurzbeschreibung: Das vorliegende Buch gibt eine umfassende und praxisorientierte Einführung in die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von gemeinnützigen Organisationen. Zunächst ist es wichtig, sich über die Zielgruppe im Klaren zu sein und eigene Ziele zu formulieren. Dann geht es um den Aufbau einer Kontaktdatenbank und um entsprechende Informations- und Werbemittel für die Öffentlichkeitsarbeit. Auch eine gut strukturierte und regelmäßig aktualisierte Website ist unverzichtbar, um wahrgenommen zu werden. Schließlich werden dieverschiedenen Instrumente erfolgreicher Medienarbeit wie Pressemitteilungen, -gespräche oder -konferenzen vorgestellt. Rechtliche Aspekte und Tipps zum Fundraising und Marketing ergänzen diesen Ratgeber.

Leben und Arbeiten in Norwegen in deutscher Sprache, Preis: 28,95 Euro

Ein Ratgeber mit wertvollen Informationen und nützlichen Tipps: Aufenthaltsgenehmigungen, Arbeitsmarkt, Immobilien, Sozialsystem, vielen Kontaktadressen und Erlebnisberichten (Broschiert)